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Fifty shades of Ampelfarben: Neues aus Österreich

„Die Welt schaut nach Salzburg“ – so oder ähnlich titelten die grossen Tageszeitungen Ende August, als die Salzburger Festspiele das Kunststück vollbracht hatten, knapp 80.000 Besucher in vier Wochen zu intensiven, künstlerisch berührenden Festspielerlebnissen gebracht zu haben. Während der Festspielzeit war keine  Infektion mit dem Coronavirus bekannt geworden, und die täglichen Infektionszahlen in Stadt und Land lagen im einstelligen Bereich. Auch wir am Salzburger Landestheater hatten bis dahin zwei Produktionen herausbringen können, eine Open Air Aufführung  der Serie „Shakespeare im Park“ rund um das ehemals von Festspielgründer Max Reinhardt bewohnte Schloss Leopoldskron sowie den von Sophie Mefan entwickelten Abend „All you need“ in den Kammerspielen. Grundlage war und ist ein strenges Präventionskonzept für Publikumsbereich und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, das sowohl ein Gesundheitstagebuch als auch regelmäßige Testungen für die künstlerischen Mitwirkenden vorsieht. So können wir annähernd zwei Drittel der üblichen Auslastung erreichen. Im Landestheater sind dies immerhin 420 der verfügbaren 700 Plätze.

Inzwischen ist es Anfang Oktober und die Infektionszahlen sind in Österreich wie in den Nachbarländern deutlich gestiegen.

Im Laufe des September hatte es einige Verwirrungen gegeben, ob und wie neue Maßnahmen für Veranstaltungen gelten werden. So wurde für ganz Österreich das Ampelsystem eingeführt, das die einzelnen Städte und Regionen in Gefährdungsbezirke von grün über gelb und orange bis rot einstuft und jede Woche von einer unabhängigen Kommission neu geschaltet werden sollte. Gleich nach der ersten Ampelschaltung, die vorerst nur Empfehlungscharakter haben sollte, rebellierten Städte und Bezirke, die anders als erwartet eingestuft worden waren, und der Bundeskanzler setzte sich über die Ampelschaltungen hinweg und verkündete neue Regeln für Masken im öffentlichen Leben sowie eine Einschränkung der Feiern im privaten Bereich.

Ausgerechnet in der Stadt Wien, die regelmäßig  die meisten Neuinfektionen aufweist und international zum Risikogebiet erklärt wurde, gab es keine zusätzlichen Einschränkungen, was vielfach mit dem laufenden Wahlkampf in Verbindung gebracht wird. Salzburg, Tirol und Vorarlberg verhängten dagegen eine Sperrstunde ab 22 Uhr, deren Einhaltung genau kontrolliert wird.

Ist es möglich, unter diesen Erscheinungen der Pandemie und Bedingungen kreativ Theater zu machen? Interessanterweise ja. Inzwischen können wir auf acht Premieren blicken, die jede auf ihre Art und Weise berührt haben.

Schon die erste Produktion war alleine deswegen eine Sensation, da es uns gelungen war, die israelische Autorin und Regisseurin Ronnie Brodetzky und ihr Team nach Österreich einreisen zu lassen. Gemeinsam mit dem Ensemble zauberten sie die Produktion „1000 Tutorials“ aus dem Material von YouTube Videos und erzählten gleichzeitig eine bittersüße Geschichte der menschlichen Existenz. Am Tag nach der Premiere reisten sie nach Hause, punktgenau zum Beginn des neuen Lockdown in ihrer Heimat.

Mit Paul Abraham „Blume von Hawaii“ begann die Saison im Musiktheater, und die Aufregung war auf beiden Seiten spürbar, als erstmals nach sechs Monaten Opernsolisten, der Chor und das Ballett zusammen auf der Bühne standen. Das Orchester war durch eine Passarella vom Publikum abgetrennt, die Besetzung im Orchestergraben angepasst. Die Energie auf der Bühne übertrug sich mühelos auf den Zuschauerraum und nach zwei Stunden ohne Pause folgten Jubel und Beifall.

Eine ähnlich lange Aufmerksamkeitsspanne forderte die Inszenierung „Die Räuber“ von Sarah Henker in einer intensiven und dichten Fassung für 6 Schauspieler*innen. Auch hier gelang es bei der Schauspieleröffnung im großen Haus, dass das Publikum mit hoher Konzentration bei der Sache war und das Ensemble feierte.

Das Medienstück „Network“ spielt in einem Fernsehsender, und so hatte Regisseur Claus Tröger vorgeschlagen, die Aufführung des in London preisgekrönten Stücks im ORF-Landesstudio anzusetzen. Das ORF Team hatte uns dabei von Anfang an sehr unterstützt, wurde aber merklich nervöser, als die Premiere näher rückte und die Fallzahlen in Salzburg anstiegen. So wurde uns ein eigener Eingang zu gewesen und eine Abtrennung der Arbeitsbereiche klar gezogen. Auch hier hat sich der Mut gelohnt und es ist ein Theaterabend entstanden, bei dem reales Leben und Theaterspiel verblüffend ineinander flossen.

Ein Spiel von Nähe und Distanz ist der „Tango“ von Natur aus. Und die Ballettproduktion „Tanto Tango“, die in kongenialer Choreographie von Flavio Salamanca und Reginaldo Oliveira erarbeitet wurde, geriet zum Herbsthit der laufenden Spielzeit. Am Tag vor dem erneuten Lockdown folgte die Premiere von Gounods „Margarethe“ als ein Opernabend in konzertanter Fassung, der allen Anwesenden angesichts der Intensität der Solist*innen und des Mozarteumorchesters unter der Leitung von Musikdirektor Leslie Suganadarajah lange in Erinnerung bleiben wird.

Die Abonnenten sind dem Theater in Salzburg insgesamt sehr treu geblieben. Als im September die Verwirrungen rund um die Ampelschaltungen aufkamen, haben wir dies deutlich im Freiverkauf und auch bei einer Zurückhaltung im Abonnement gespürt. Die ersten Aufführungsserien haben dann wieder deutlich vertrauensbildend gewirkt. Bis zum lockdown gab es eine persönliche Ansage vor jeder Aufführung, um die Maßnahmen zu erklären. Eine Abonnenten kommentierte dies mit den Worten: „Im Theater fühle ich mich sicherer als irgendwo da draußen.“

Neben den schönen Erfolgen stehen Tiefschläge wie zum Beispiel die unerwartete Verschiebung unsere Produktion „Manitu“, die ihre Premiere am Deutschen Theater in München gefeiert hätte. Andreas Gergen und das 25köpfige Ensemble hatten das Stück premierenreif geprobt, zur Premiere kam es aufgrund der mangelnden Spielgenehmigung in München nicht. Da greifen menschliche und künstlerische Enttäuschung ineinander – mit einem Ensemble, das mit so viel Herzblut darum gekämpft hatte, seinen Beruf wieder ausüben zu können.

Die ganze Entwicklung bleibt ein Tanz auf dem Seil, bei dem man die Mutigen ab und zu bremsen und die Verzagten ermutigen muss. Für die künstlerischen Abteilungen überwiegt die Haltung, dass es ein Privileg ist, dass wir unseren Beruf ausüben dürfen. So konnte gerade nach drei Monaten des Wartens in diesen Tagen die Mezzosopranistin Olivia Cosio als Mitglied unseres Opernstudios nach Salzburg reisen. Sie hatte den Lockdown in New York erlebt und den Sommer bei ihren Eltern in San Francisco verbracht. Dabei  lernte sie ein Heimatland kennen, in dem das Tragen  einer Maske plötzlich zum politischen Bekenntnis geworden war, und in dem es normal war, Feuerschein und Rauchwolken am Horizont zu erblicken. Die ersten Tage in Salzburg konnte sie die neu erworbene Freiheit kaum fassen und erlebte wie neu, zum ersten Mal nach sieben Monaten ihren Beruf ausüben und ohne Maske in einem Café sitzen.

Wir alle können nicht ahnen, was die nächsten Tage uns bringen, aber im Moment fühlt es sich gut an, dass Österreich und Salzburg zu ihren Kulturinstitutionen stehen und den Theaterbetrieb mit Einschränkungen ermöglichen, die anderswo als ungeahnte Freiheit empfunden werden.

Carl Philip von Maldeghem ist Intendant des Salzburger Landestheaters und Gründungsmitglied und Geschäftsführer der österreichischen Intendant*innengruppe